Verräterische Kerben: Die ersten Frühmenschen könnten Europa früher erreicht haben als bisher angenommen. Mögliche Belege dafür liefern 1,92 Millionen Jahre Schnittspuren auf Tierknochen, die in der rumänischen Fundstätte Grăunceanu entdeckt wurden. Die Schnitte könnten beim Schlachten und Zerlegen der Tiere entstanden sein, wie Forschende in „Nature Communications“ berichten. Sollte sich dies bestätigen, wären dies die frühesten Zeugnisse frühmenschlicher Präsenz auf unserem Kontinent.
Die Wiege der Menschheit lag in Afrika, dort entwickelten sich die ersten Vor- und Frühmenschen. Doch wann die ersten Vertreter der Gattung Homo Afrika verließen und Asien und Europa erreichten, ist unklar. So belegen Fossilfunde aus dem georgischen Dmanissi, dass erste Frühmenschen schon vor 1,8 Millionen Jahren den Kaukasus erreicht hatten. Die ältesten Steinwerkzeuge Europas stammen aus der Ukraine und sind rund 1,4 Millionen Jahre alt.
Doch es mehren sich Hinweise darauf, dass Frühmenschen den eurasischen Kontinent womöglich noch früher erreichten, darunter 2,12 Millionen Jahre alte Steinwerkzeuge aus China.
Tierknochen mit Schnittspuren
Mehr Aufschluss könnte nun die Fundstätte Grăunceanu in Rumänien liefern. Dort haben Paläontologen schon in den 1960er und 1980er Jahren tausende Knochen von Eiszeittieren entdeckt, darunter Mammuts, Hirsche und Auerochsen, Urpferde und Säbelzahnkatzen. Die Tierknochen stammen größtenteils aus der Zeit vor rund 1,95 Millionen Jahren. Für ihre Studie haben Sabrina Curran von der Ohio University und ihre Kollegen nun gut 4.500 dieser Knochen noch einmal genauer untersucht.
Ziel war es, mögliche Bearbeitungsspuren durch frühe Menschen an den Knochen zu entdecken. „Wir haben allerdings nicht viel erwartet“, sagt Curran. „Aber dann fanden wir doch mehrere Knochen mit Schnittspuren.“ Insgesamt identifizierte das Team 20 Tierknochen mit solchen Kerben. Sieben davon, meist Beinknochen, zeigen mehrere Schnittmarken nebeneinander und an Stellen, die für das Entbeinen von Jagdbeute typisch sind, wie die Forschenden berichten. Sie stufen diese Funde daher als „High Confidence“ – hohe Zuverlässigkeit – ein.
Weitere 13 Tierknochen zeigen nur eine Schnittkerbe oder aber Kratzer an weniger eindeutig mit dem Schlachten assoziierten Stellen. Diese stuft das Team daher nur als „wahrscheinliche Schnittspuren“ ein.
Frühmenschen als Urheber
Die Analysen legen nahe, dass zumindest einige dieser Schnittspuren von Frühmenschen stammen. „Auch wenn keine Steinwerkzeuge oder Fossilien in Grăunceanu gefunden wurden, enthüllt unsere detaillierte Analyse klare Belege für die Präsenz von Homininen an diesem Ort“, schreibt das Forschungsteam. Der Anteil der Knochen mit solchen Bearbeitungsspuren sei in Grăunceanu zudem vergleichbar mit denen aus anderen Fundstätten, in denen Homininenfossilien oder Werkzeuge vorhanden seien.
Welche Frühmenschen diese Spuren ihrer Jagd und Schlachtungen hinterließen, ist allerdings unbekannt. „Wir vermeiden es bewusst, über die Homininen-Spezies zu spekulieren“, betonen die Forschenden. „Denn dies war eine Zeit, in der mehrere Homininenarten in Ost- und Südafrika koexistierten.“
Frühestes Indiz für Homininen in Europa
Nach Ansicht von Curran und ihrem Team beweisen ihre Funde, dass erste Menschen schon vor 1,95 Millionen Jahre in Südosteuropa präsent waren – rund 200.00 Jahre früher als es die Fundstätte Dmanissi bisher nahelegte. „Das ist bedeutsam, weil es die Frühmenschen-Aktivität in Europa weiter in die Vergangenheit verschiebt“, sagt Curran. Sie und ihre Kollegen gehen davon aus, dass die ersten Gruppen von Homininen unseren Kontinent sogar schon vor gut zwei Millionen Jahren erreichten.
„Die Grăunceanu-Fundstätte demonstriert, dass Frühmenschen schon damals begannen, Gebiete in Eurasien zu erkunden und zu besiedeln“, so Curran. Allerdings blieben diese ersten Vertreter unserer Gattung wahrscheinlich noch nicht dauerhaft im eher kühlen Europa. Stattdessen könnten sich diese noch an das afrikanische Klima angepassten Frühmenschen immer dann weiter nach Norden vorgewagt haben, wenn das Klima vorübergehend milder wurde. Auch vor 1,95 Millionen Jahren war dies der Fall, wie die Fossilien der damals üppigen Flora und Fauna in Grăunceanu nahelegen.
„Diese frühen Menschen waren vermutlich anpassungsfähiger als wir zuvor dachten. Sie konnten in einer Vielzahl verschiedener Umwelten überleben und gedeihen“, sagt Curran. (Nature Communications, 2025; doi: 10.1038/s41467-025-56154-9)
Quelle: Nature Communications, Ohio University